Das Neue ist eine Illusion – ein Interview mit Matthias Horx

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Die Zukunft ist oftmals Fantasie-, Zufluchts- und Nebelort zugleich. Denken wir über neue Produkte, Dienstleistungen oder Geschäftsmodelle nach, kommen wir unweigerlich an einen Punkt, an dem wir versuchen müssen das Bild von morgen zu zeichnen. Wir wollen im Grunde genommen doch nur wissen: Funktioniert das? Anschließend ereifern sich Geschäftsleitung, Vertrieb, Marketingexperten und Mitarbeiter in langen Diskussionen über die anzunehmende Zukunft, meist mit dem Ergebnis zu keinem Ergebnis zu kommen. Und so kann die Entscheidung auch gewürfelt werden, mit ähnlicher Erfolgschance.

Oder man fragt jemanden der sich damit auskennt: Matthias Horx gilt als einflussreichster Trend- und Zukunftsforscher im deutschsprachigen Raum. Nach einer Laufbahn als Journalist (bei der Hamburger ZEIT, MERIAN und TEMPO) gründete er zur Jahrtausendwende das „Zukunftsinstitut”, das heute zahlreiche Unternehmen und Institutionen berät.

Im Vorwort des aktuellen Monatsmagazins des Zukunftsinstituts „Trend-Update“ schreiben Sie, dass sich die Zeit der technischen Utopien dem Ende entgegen neigt. Nach dem Verblassen der Markenreligionen wie bspw. Apple, dämmert uns langsam, dass die neuen Probleme der Zukunft im Grunde die alten sein werden:  Armut. Umwelt. Demokratie. Gesundheit. Konflikt. Kann das „Neue“ überhaupt jemals zum Antwortgeber oder Sinnstifter werden oder ist diese Zielsetzung per Definition schon nicht erreichbar, so dass dem Neuen lediglich flankierende Bedeutung zukommen kann?

Menschen sind „neotonische“ Wesen. Wir sind  immer besonders aufgeregt, wenn etwas Ungewohntes unsere Aufmerksamkeit erringt. Diese nervöse Eigenschaft hat unsere evolutionäre Fähigkeit zur Anpassung gestärkt, weil wir dadurch mit ungewöhnlichen Situationen besser zurecht kamen und Gefahren besser witterten. Aber in der Fixierung auf das „Neue“ liegt auch etwas Kindisches, Naives. Man muss nur mal Männer auf Auto-Messen beobachten… Sie halten den äußeren Schein für das Neue. In der Konsumgesellschaft ist das Etikett „neu“ oft eine Fälschung: Verkauft wird nur eine Variante, wie das „neue“ iPhone. Richtige Neuheiten, Durchbrüche, sind sehr selten. Man muss also das „Fake-Neue“ und das „Real-Neue“ unterscheiden lernen. Das reale Neue ist oft gar nicht technisch, es findet tief in den sozialen Verhältnissen statt. Und dort bleibt es oft lange unsichtbar.

Es gibt in der Geschichte gewisse Phasen, in denen technologische Innovation die Geschichte vorantreibt, und Phasen, in denen neue soziale Organisationsformen entstehen müssen – in eine solche Phase kommen wir jetzt. Die Eisenbahn machte vor 150 Jahren die industrielle Revolution möglich, aber sie erzwang und initiierte auch eine Welle neuer sozialer Erfindungen: Gewerkschaften, Pensionssysteme, Gesundheitssysteme, Genossenschaftsbanken, die das Projekt „Industriegesellschaft“ erst zum Laufen brachten. An solchen „Komplexitätslinien“ sind wir auch heute wieder. Die Frage ist nicht mehr: Können wir noch bessere Pillen erfinden oder tollere technische Diagnostik-Apparate. Die Frage ist: Wie können wir ein neues Gesundheitssystem entwickeln, das nicht nur immer teurer wird und tatsächlich die GESUNDHEIT der Menschen verbessert? Das heißt: ihr Verhalten, ihre Vorsorge, ihre Selbstwirksamkeit. Auch Sicherheitsprobleme wird man in Zukunft nicht mehr durch neue Militärtechnologie lösen können. Selbst wenn der NSA ALLES weiß, ist er im Grunde hilflos. Der Syrien-Konflikt zeigt, dass eine andere Art der Sicherheitsarchitektur möglich ist, außer dem „Bomber schicken“. Oder die Versorgung mit erneuerbaren Energien, das „Energy Grid“. Ist das nur eine technische Frage? Nein, da geht es ganz stark um intelligentere Steuerungen, neue Kooperationen, um eine andere Shareholder-Logik. Das meine ich mit der Durchdringung von technischer und sozialer Innovation.

Wir Unternehmer schielen immer auf die nächste große Sache in der Zukunft, worauf sollen wir setzen, worin investieren. Sie sagen nicht technische Innovationen werden die Zukunft prägen, sondern soziale Innovationen. Wenn wir bereit sind über neue Strategien der Zwischenmenschlichkeit nachzudenken, wo finden wir im Unternehmen von heute erste gedankliche Ansätze uns der Thematik, letztendlich auch gewinnbringend, zu nähern?

Zunächst gilt es, die verschiedenen Arten von Innovation zu verstehen und zu entscheiden, in welche Richtung man geht. Graduelle Innovationen sind immer notwendig, wenn eine starke Firma im Weltmarkt bleiben will. Viele deutsche Firmen sind sehr erfolgreich, ihre graduellen Innovationen perfekt zu organisieren – das sind die Weltmarktführer im Mittelstand. Dann gibt es „breakout“-Innovationen, in denen man ein völlig neues Marktsegment schafft und einen toten Markt durcheinanderwirbelt. Man denke an Nespresso-Kapseln: Das ist immer noch Kaffee, aber eben „ganz anders“. Und schließlich gibt es auch noch die Kategorie der disruptiven Innovationen, und dazu muss man ganz anders, gewissermaßen „aus der Fremde“, die Welt betrachten. Einstein hat mal gesagt: „Eine wirklich gute Idee erkennt man daran, dass ihre Verwirklichung ausgeschlossen erscheint.“

Wir glauben jedoch vor allem an eine weitere Kategorie, die wir „Synnovation“ nennen. Dies ist eine Innovation, in der bereits vorhandene Elemente zugunsten einer höheren positiven Komplexität zusammengefügt werden – im Sinne der Lösung gesellschaftlicher oder individueller Probleme. Dafür muss man den Wandel der Gesellschaft besser verstehen, die tiefen Bedürfnisse, aber auch Frustrationen der Menschen. Bei solchen Innovationen braucht man eine ganz andere Strategie, die auf Netzwerkbildung, Kooperation und „Open Innovation“ aufbaut. Man gestaltet ein Kollaborations-Netzwerk, denn ein einzelnes Produkt, eine Technik, kann das Problem nicht lösen. Dieser Art von kollaborativer Innovation gehört unserer Meinung nach die Zukunft.

Eine weitere Möglichkeit das Neue in die Welt zu bringen, besteht in der Vermutung wie die Welt von morgen aussehen könnte. Wir sind dabei meist Mutmaßungen, Science-Fiction-Fantasien oder limitierenden Glaubenssätzen ausgesetzt und können kaum eine begründete Entscheidung fällen. Sie beschäftigen sich mit den Megatrends, die weitreichende Wirkung auf alle gesellschaftlichen Bereiche haben werden. Wie kann ich einen Trend von einer Modeerscheinung unterscheiden und wo finde ich einen ersten gedanklichen Faden um unter Berücksichtigung von Megatrends das Zukunftsknäul für mein Geschäft zu entwirren?

Hier geraten wir in eine große Konfusion. Science-Fiction Bilder handeln mitnichten von der Zukunft. Meistens geht es um Ängste, Zuspitzungen und Extreme – Alpträume, die aus linearen Zuspitzungen konstruiert sind. Die wirkliche Entwicklung jedoch verläuft evolutionär – also viel komplexer als in den oft linearen „Visionen“ der Science Fiction. Auch Megatrends eignen sich nicht wirklich zur Innovationsgenerierung, jedenfalls nicht im direkten Sinn. Im Grunde handeln sie von der „Kontinuität des Wandels“, von sehr langfristigen Strukturveränderungen. Megatrends sind gewissermaßen die „roten Fäden der Veränderung“. Man kann sie als Spiegel benutzen, in dem man die Wirklichkeit besser erkennt. Wenn man aber vorschnell versucht, ein Produkt daraus zu basteln und dem das Etikett „Megatrend“ anzuhängen, wird man scheitern. Alle Trends, auf die man sich „setzen“ kann, sind im Grunde Fehl-Allokationen. Trends kann man, wenn man damit Geld verdienen will, nur machen und „realisieren“ – wenn man sie imitiert, sonst sitzt man schon auf der Verliererseite.

Nassim Nicholas Taleb sagt in seinem Buch „Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen“ sinngemäß, wenn sich Unternehmen für eine unbestimmte Zukunft wappnen wollen, so tun sie gut daran wieder vermehrt auf das Prinzip „Trial and Error“ zu setzen und zunehmend Chancen in Optionen zu suchen. Deckt sich das mit Ihren Erkenntnisse und Forschungsergebnissen? Was empfehlen Sie Unternehmen zusätzlich, wenn Sie heute Grundsteine legen wollen für eine erfolgreiche Zukunft?

Talebs leicht verrückt klingende Formel vom „Umarmen des Zufalls“ ist durchaus wörtlich zu nehmen. Wir müssen verstehen, dass der Zufall ein wesentliches evolutionäres Element ist – ohne ihn würde alles stagnieren, weil dann die „berechnenden Systeme“ in der Biologie – die Hirne – irgendwann alles „ausrechnen“ würden. Unternehmen müssen also lernen, nicht alles kontrollieren zu wollen und auf Zufälle zu achten. Viele Unternehmen befinden sich in einem Kontroll- und Kostenrausch, der früher oder später zur Erstarrung führt. Unsere Welt wird unruhiger, variabler, vielfältiger, und unser Geist sollte, nein, muss bei dieser Komplexität mitwachsen.

Im Oktober erscheint Ihr neues Buch mit dem Titel „Zukunft wagen – über den klugen Umgang mit dem Unvorhersehbaren“. Hier gehen Sie der Frage nach wieso wir die Aussichten für die Zukunft meist eher negativ bewerten. Was kann der Berufsoptimist Matthias Horx denjenigen zurufen, die voll Furcht und Sorge nach vorne blicken?

Nichts. Das funktioniert nicht auf Zuruf. In meinem Buch versuche ich, die Menschen dazu zu bringen, dass sie sich mit ihren inneren Ängsten produktiver auseinandersetzen. Aber das ist ein sehr intimer, persönlicher Prozess. Außerdem bin ich kein „Berufsoptimist“. Ich bin nur skeptisch gegenüber den ewigen Untergangspropheten und populistischen Jammerern.

Was sollte aus Ihrer Sicht noch unbedingt Erwähnung finden rund um die Fragestellung „Wie kommt das Neue in die Welt“?

Um das Neue zu verstehen, müssen wir begreifen, wie sich das Alte immer wieder neu erfindet, auf dem Wege der Varianz, der Selbstorganisation, der Resilienz. Nichts anderes ist Evolution: Re-Kombination, Re-naissance. Ketzerisch gesagt: „Das Neue“ gibt es gar nicht, es ist nur eine Illusion für unseren kindlichen, neotonischen Geist. Wer das erkennt, erhält Zugang zu einer neuen Kategorie des Neuen. Das wahrhaft Neue ist das Intelligentere. Das ist das Urprinzip der Evolution, ihr eigentliches Geheimnis. Aber verraten Sie´s niemandem weiter.

Buchwerbung Horx

Foto: Klaus Vyhnalek

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