„Die Änderung ist das Normale“ – Agile Arbeitsmethoden für das Publizieren in Print und Web

Agiles Publishing Interview Kleinhanns Guenther

„Be water my friend!“, sagte schon mein damaliger Kumpel Bruce Lee. Dies bezog er auf den Geist ebenso wie auf den Kampf mit dem Gegner. Nicht starr sollst du sein, sondern anpassungsfähig. Heute scheint der flüssig flexible Prozess eine der wenigen brauchbaren Antworten auf die immer komplexeren und kurzlebigeren Anforderungen in der Projektabwicklung zu sein. Die ganze Medienindustrie agiert agil! Die ganze Medienindustrie? Ja, sagt der Verstand und doch steht die Umsetzung in der Praxis auf einem ganz anderen Blatt.

Liebgewonnene Gewohnheit. Ach, mein armes Werber-Herz, das du den alten Druckereigeruch noch kennst und so an der klassischen Agenturarbeit hängst. Selbst dir ist aufgefallen, dass die Zeiten sich seit damals verändert haben, das Internet war doch keine vorübergehende Erscheinung und die Kunden sind auch nicht mehr das unwissende Wesen, was sie vielleicht einmal waren. Vor mir liegt ein sechsseitiger Lang/Din Flyer, ich halte ihn fest und weiß genau wie er Schritt für Schritt entstanden ist. Und das soll ich jetzt alles loslassen? Und dann kommt das Thema „Agiles Publishing“ in Form eines wunderschönen Workbooks daher, nimmt auch dich in den Arm und sagt: Schau mal, ich weiß wie du dich fühlst und ich zeige dir jetzt mal Möglichkeiten, wie du wieder mehr Freude an Kundenänderungswünschen und flexibler Arbeitsweise hast.

Ein Meister der weisen Worte ist Matthias Günther, gemeinsam mit Detlev Hageman und Georg Obermayr Autoren des Buches „Agiles Publishing – Neue Wege des Publizierens für Print, Web und Apps“. Zeit für ein paar ernste Fragen an den Autor.

Herr Günther, der Mensch liebt Linearität! In Speiseabfolgen, Lebensläufen, Zukunftsprognosen und ganz besonders in der Abwicklung von Projekten. Das Weitertragen der Aufgaben von A nach B nach C hat sich irgendwie im Agenturalltag bewährt, jeder hat eine klare Aufgabe und konzentriert sich auf sein Fachgebiet ohne sich zu sehr nach anderen Disziplinen verrenken zu müssen. Und dennoch: Wir merken, dass die Anforderungen der Kunden und die äußeren Begleitumstände an das Produkt scheinbar sprunghafter werden und eine stringente Abarbeitung oftmals unmöglich ist. Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Symptome, die darauf hindeuten, dass eine Projektabwicklung am konservativen „Wasserfall“-Prozess krankt und man sich mit einer „agilen“ Arbeitsweise vertraut machen sollte?

Ist es wirklich die Linearität? Essen und Einzelaufgaben sind kurze, in sich abgeschlossen wirkende Tätigkeiten. Wir meinen, diese planen und beherrschen zu können. Was auch meistens klappt, wenn die Zeiträume nicht zu lang sind. Projekte, egal ob es die Agentur oder eine Großbaustelle ist, bestehen aber aus vielen kleinen, einzelnen Aufgaben, die ineinander verschränkt sind und Abhängigkeiten besitzen. Wir machen oft den Fehler, die kleine, planbar, beherrschbare Aufgabe zu verallgemeinern und das auf das ganze Projekt anzuwenden. Jeder, der schon mal ein größeres Projekt geplant hat, weiß aber, dass typischerweise etwas passiert, dass man nicht vorhergesehen hat oder meistens nicht einmal vorhersehen konnte, egal wie gut die Planung war.

Der Wasserfallprozess geht davon aus, dass alles planbar ist und man ggf. korrigieren muss. Wenn man dauernd korrigieren muss, ist man auch ständig im Feuerwehrmodus, Brände löschen, Katastrophen verhindern. Das bedeutet nicht nur höheren Zeitaufwand, es ist auch für die Psyche anstrengend.

Der agile Prozess geht einfach davon aus, dass sich etwas ändern wird, gibt eine grobe Richtung vor und korrigiert ständig neu. Die Änderung ist das normale, wir verschwenden keine Zeit mit Neuausrichtungen und auch psychologisch ist eine Veränderung der äußeren Faktoren keine Katastrophe, da ja eingeplant. Wichtig zu verstehen ist, dass Agilität kein Chaos oder ein einfaches Drauflosrennen ist, sondern einen festen Rahmen durch Prozeduren vorgibt, wie man mit schwer abschätzbaren Faktoren umgehen kann.

Das Neue in die Welt zu bringen ist auch in der Kreativbranche nicht leicht. Veränderung bedeutet Unsicherheit und das verursacht wiederum Bedenken. Welchen Vorschlag haben Sie, einem Team die neue Arbeitsweise näherzubringen und wie gehen wir bestenfalls mit Ablehnung und Rückschlägen um?

Agilität und die Veränderungen drumherum muss man nicht als großen Block einführen. Viele der Werkzeuge und Methoden von agilen Vorgehensweisen wie Scrum lassen sich auch im normalen Alltag einführen und erlauben es so, langsam eine Veränderung einzuführen. Das wichtigste an agilen Vorgehensweisen sind nicht die Prozesse oder Rituale, sondern der Mensch, den Agilität ist eine Denkweise. Das bringt wie jede große Veränderung Bedenken und auch Ängste mit, in unserem Buch haben wir daher dem Change Management ein ganzes Kapitel gewidmet, um anzureißen, wie man damit umgehen kann und wo sich weiterführende Literatur dazu findet.

Im agilen Prozess ist der Kunde weitaus früher mit am Tisch als in der herkömmlichen Arbeitsweise. Bisher arbeitet die Agentur nach dem Briefing in einer, wie Sie es nennen, geschlossenen „Blackbox“. Hier wird unter Ausschluss des Kunden am Ergebnis gearbeitet und ihm dieses dann am Ende „fast fertig“ präsentiert. Wenn die Magie der Blackbox schwindet, wie kann ich dann meinem Kunden den Zauber einer Kreation oder Idee hochemotional erlebbar machen?

Bei agilen Prozessen hilft es, wenn der Auftraggeber früh am Tisch sitzt und sogar beteiligt wird, auch wenn das keine Voraussetzung ist. Es ist nur sehr viel schwieriger, en klassisches Pflichten-/Lastenheft intern agil abzubilden.

Die Blackbox mag wirklich den Überraschungseffekt haben, der begeistern oder auch hinten losgehen kann. Den Auftraggeber dauernd einzubeziehen heißt es, ihn und seine Kunden besser zu verstehen und so bessere Geschichten bzw. Erlebnisse zu liefern. Und wenn der Auftraggeber emotional einbezogen wird, ist er auch viel engagierter und findet es bestimmt auch spannend.

Ob das besser und emotionaler ist als der Überraschungseffekt, ist eine gute Frage, persönlich sehe ich das wie Alfred Hitchcock, der den Spannungseffekt bei Filmen beschrieb: „Suspense“ ist wirkungsvoller als der Überraschungseffekt. Interessante Parallele, Hitchcocks „Suspense“ bezieht den Zuschauer auch mit ein.

http://members.liwest.at/holzner/suspense.htm (letzter Absatz)

Die eine Herausforderung ist, die internen Prozesse so umzustrukturieren, dass sie agiler werden. Eine ganz andere Herausforderung ist, diese Art des Arbeitens auch dem Auftraggeber schmackhaft zu machen. Welche Vorteile und Mehrwerte bieten sich den Agenturkunden, wenn sie sich auf eine agile Arbeitsweise einlassen?

Die Agentur Edenspiekermann beschreiben das hier gut (auf Englisch).

Kurz gesagt, es geht darum den Auftraggeber immer und überall einzubeziehen und nicht nur im ersten Briefing, um auf die Anforderung und Wünsche seiner Kunden genauesten einzugehen.

Im Bereich der Webentwicklung sind Themen wie die Scrum bekannt, wir denken mobil und variabel da das Medium flexibel erscheint. Agiles Publishing umfasst in Ihrer Betrachtungsweise auch die Herstellung von Printprodukten. Dies scheint auf den ersten Blick schwierig. Welche Möglichkeiten habe ich bei der Entwicklung einer Drucksache agil vorzugehen?

Agile Prozesse müssen kein agiles Produkt als Folge haben, Softwareprodukte oder Bauprojekte zeigen das. Und wir müssen auch zwischen Kreation und Produktion unterscheiden, der typische Herstellungsprozess ist meist nicht agil abbildbar. Bei der Softwareherstellung ist das z.B. ein ganz kleiner Bestandteil, die Produktion der DVD oder des Downloadfiles. Bei Printprojekten ist der Anteil der Herstellung größer am Gesamtprozess, speziell bei Periodika. Interessanterweise nutzen viele Zeitungsredaktionen bereits agile Methoden ohne es wahrscheinlich zu wissen.

Bei der typischen Akzidenzproduktion eines Printobjekts lassen sich Kreation und Gestaltung gut agil abbilden, mehr dazu im Vortrag.

Zu Ihrem Vortrag: Sie sind am 04.03.2014 zu Gast bei der medien[plan]tage, der Medienakademie des Druck- und Mediendienstleisters Müller Ditzen AG. Welche Themen erwarten die Besucher, werden wir Zeuge der Verwandlung vom „Waterfall Publisher“ zum „Agilen Publisher“?

In der Kürze der Zeit werde ich einen Abriss geben können, wie Agilität funktioniert, welche Vor- aber auch Nachteile es mit sich bringen kann. Weiterhin erkläre ich, mit welchen Werkzeugen man agile Prozesse schnell und einfach ausprobieren und einführen kann, ohne gleich die gesamt Arbeitsweise umstellen zu müssen.