Wenig Tschaka, viel Verwirrung – Grenzen überwinden mit Hermann Scherer

Hermann Scherer Grenzen ueberwinden

Tagebucheintrag Donnerstag 17.10.

Ich bin noch nicht da im Leben, wo ich eigentlich sein will. Dankbar zwar für alles bisher erreichte, dass es mir gut geht und ich viele fantastische Leute um mich herum habe, und dennoch ist da die Unzufriedenheit. Meine erste Milliarde ist in weiter Ferne und ein Superstar der Szene zu sein auch. Der Turbo, die Rakete will nicht so richtig zünden, obwohl ich alle Mittel habe.

So stehe ich da, der große Berater und Verkäufer der Selbsterneuerung für Unternehmen, der, der Zukunftsfähigkeit durch Wandlung verspricht und fragt sich: Wie kommt das Neue in die eigene Welt? Was hält mich zurück, um richtig durchzustarten und die Nummer eins zu werden (wofür oder worin?).

Durch Zufall kam ich auf das Seminar von Hermann Scherer „Grenzen überwinden“, zu dem ich morgen reise. Ich stehe an der Weggabelung, will ich das eine oder will ich das andere, die Entscheidung ist meine Grenze. Ich will Kraft bekommen um endlich reinen Tisch zu machen!

Doch erst einmal muss ich wieder auf die Toilette, seit Monaten renne ich häufiger denn je auf das stille Örtchen, wahrscheinlich werde ich langsam alt und senil.

Tagebucheintrag Freitag 18.10.

Erster Seminartag, familiäres Umfeld in Mastershausen. „Das hier wird keine Tschaka-Veranstaltung, mein Ziel ist es euch zu verwirren“, sagt Hermann Scherer, Top Speaker und Mensch, erfolgreich durch Prinzip, Systemdurchblick und Warmschnäutzigkeit. Er spricht von der Zurückeroberung des Lebens, welches wir führen wollen. Das ist großartig. „Nur wer infrage stellt, kann große Durchbrüche schaffen. Dazu müssen wir auch mit der Vergangenheit brechen. Die Frage ist nicht: wo kommen wir her, sondern wo wollen wir hin?“

Zum Mittag gibt es ayurvedische Küche, ein außergewöhnliches Geschmackserlebnis und antreibend zugleich. Ich hangle mich von Klogang zu Klogang.

„Leben Sie das Leben, was Sie Leben wollen?“, fragt Hermann. Schlimme Frage für jemanden wie mich. Die Gedanken schweifen ab und verlieren sich in Vorstellungen und die Lücke vom Ist zum Soll zeigt ihr fieses Gesicht. Anschließend entwerfen wir eine neue Vision für unser Leben. Pläne schmieden kann ich gut. „Ziele die realistisch sind, sind keine Ziele – sie sind langweilig!“, Scherer rezitiert Scherer. Innerhalb von 20 Minuten habe ich ein Konzept für eine AG entworfen mit sechs verschiedenen Unterabteilungen und globalen Verstrebungen. Ich bin begeistert, was für ein fantastisches Gedankenkonstrukt, ja, das will ich machen, endlich! Klogang.

Hermann stellt seine Partnerin Kerstin vor, die sich mit den spirituellen Möglichkeiten der Grenzenüberwindung befasst. Energie, Götter, Schamanen, Hellsehen. Lustig. Sie stellt sich vor, schaut in die Runde, „Ich denke hinter jeder Krankheit steht ein Aussage bzw. eine unerfüllte Aufgabe…“, ihr Blick trifft mich einen kurzen Augenblick, sie sagt „z.B. Blasenschwäche ist ein Zeichen dafür, dass man etwas nicht loslassen kann.“ Hoppla, nicht mehr lustig.

Seelenhygiene ist eine Reinigung an kaum vorstellbaren Orten. Kerstin arbeitet mit Meditation und Aufstellungen. Eine Reise durch Innerlichkeiten, Ursachenforschung tief in uns selbst. Geschlossene Augen, Klangwelten, Spaziergänge im Kopf: wir erarbeiten uns das, was wir wirklich wollen, aus tiefsten Herzen. Wer bin ich, was ist mein Weg? Und da entwickelt sich langsam der Moment der Klarheit, ein Bild entsteht, Farben, Licht Energie strömt, meine Vision! Sie hat nichts mit einer AG zu tun.

Beim gemeinsamen Abendessen fällt mir eine Karte in die Hand. Sie wünscht mir „Klarheit“. In der Nacht träume ich von großen, befremdlichen Explosionen.

Tagebucheintrag Samstag 19.10.

Jeder hat seinen Rucksack mitgebracht, den er im Leben mit sich trägt. In Hermann’s ist eine Toilettenfernbedingung für ein hochautomatisches Klosett und Abführung de Luxe. Loslassen, fokussieren, Haufen zurücklassen wird zum Bild. Das Paket, welches ich ablege, ist wohl das ewige Grübeln, die Verkopfung und Verzettelung. Will ich Impulse für andere geben, muss ich weniger mit mir beschäftigt sein.

Die Frage hinter der Frage wird sichtbar und provoziert Antworten die verwirren – Ziel der Verwirrungsstiftung erreicht.  Viele der Teilnehmer kamen mit einem Plan fürs Business und manche gehen mit einer Vision fürs Leben.

Am zweiten und letzten Seminartag wird vieles klarer, es geht an die praktische Umsetzung der zuvor erarbeiteten Vision.

Die Verabschiedung. Austausch. Gespräche der Teilnehmer. Umarmungen. Es ist noch hell draußen. Warme Herbstluft. Sachen packen. Ungenutzte Blätter aussortieren. Noch ein Kaffee. Treppen. Autotür. Abfahrt.

Auf dem Weg zur Unterkunft im Nachbarort steht ein altes Burg-Fragment unweit der Hauptstraße. Ich halte an und steige aus, um mir die Mauern von nahem anzuschauen. Stehe ich vor der Ruine meines Lebens oder vor einem Rohbau, der jetzt endlich ausgestaltet werden will?

Tagebucheintrag Sonntag 20.10.

Ich wache auf in einem Hotelzimmer in Kastellaun, das Seminar ist vorüber und ich richte mich auf. Die letzte Nacht, der letzte Abend, ja, alles was seit der Verabschiedung passiert ist scheint spurlos aus der Erinnerung verschwunden zu sein. Ich bin leer (r)ausgegangen. Ist das gut? Ist das schlecht? Ich habe mir immer wieder eine weiße Leinwand gewünscht um mich neu aufzustellen und mein Wunschleben zu führen, den „verrückten Weg“ zu gehen. Und ich habe sie bekommen.

Bislang war ich der festen Überzeugung, dass ich dazu erst alles zerstören muss, was ich habe. Ich erinnere mich wieder an den Traum der Explosion: Ich stehe im Eingang zu einer großen Industriehalle. Die Einrichtung gleicht auf den ersten Blick einer riesigen Wohnung, später merke ich, dass es sich nur um eingelagerte Möbel handelt. Freunde, Bekannte, Fremde stehen herum und unterhalten sich. Dann initiiere ich die Explosion, Lichtblitze, Feuer, Zerstörung, Chaos. Und dann passiert das befremdliche: Es setzt überhaupt keine Genugtuung ein, keine emotionale Regung, keine Befreiung, nur Gleichgültigkeit. Ich stehe einfach nach wie vor im Eingang der Halle und spüre keinerlei Befreiung.

Es geht um keine Weggabelung, um kein Entweder/oder, sondern um eine Sache zwischen mir und mir. Was muss ich loslassen?

3 comments Write a comment

  1. Diese Unzufriedenheit, die einen von Seminar zu Ziel, zum Scheitern, zum nächsten Seminar, mit neuen Zielen hecheln läßt, die kenne ich gut.
    Was ist mit der Anerkennung, Würdigung, mit Stolz auf das, was man war, getan hat und jetzt ist?
    DU BIST PERFEKT!
    Wenn nicht, renn weiter… ;-)
    Wer kommt mit, was Feines essen?
    Flirten?
    Musik hören, geniessen?
    Und dann kümmern wir uns mal um die, die uns wirklich brauchen.., ok?
    Frau, Kinder, andere Männer, die Burschen,…
    Das Wichtigste, der dringendste Job, die kleinste Veränderun, sie ist direkt vor Deiner Nase.

Leave a Reply